Die Gotischen Schriften

Rückwirkend von den italienischen Humanisten der Renaissance (spätes 14. bis 16. Jahrhundert) hat sich der Name für diese Schriftform und dem namensgleichen Baustil, aus dem als barbarisch geltenden Zeitgeist in Anlehnung an die „Goten” ergeben. Aus der „Karolinischen Minuskel”, der Einheitsschrift, die Karl der Große im 9. Jahrhundert an seinem Hof zur Abschaffung der vielen bestehenden „Nationalschriften” für sein Reich zur Anwendung brachte, wurden ab dem 11. bis 13. Jahrhundert die Buchstaben enger geschrieben und in die Höhe gestreckt. Die auf der Schriftlinie endenden Schäfte der Figuren der Karolingischen Minuskel wurden kurz darüber gebrochen und die zuvor geschriebenen großen und kleinen Bögen zwischen den Schäften wurden durch gerade kurze Haarstriche eingeleitet und durch schräg abwärts gerichtete Striche in Stammstärke ersetzt. Dieses schmale, schlanke und gitterartig anmutende strenge Schriftbild entwickelte zugleich auch Neuheiten in der Schriftanwendung gegenüber den bisherigen Schriften des Mittelalters:

  • Anwendung des Punktes über dem bisher punktlosen „i” ab dem 14. Jh.
  • Die Minuskeln u und v wurden vokalisch und konsonantisch austauschbar verwendet. So wurde v am Wort- und Silbenanfang, u in der Silbenmitte und am Wortende geschrieben.
  • Zugleich erfolgte die Anwendung des runden s am Wortende und die lange S-Form in der Wortmitte.
  • Aus der bisherigen Schreibweise des sz und ss wurde ß.
  • Ausschweifend und übertrieben wurden Wortkürzungen (Abbreviaturen) zuhauf angewendet.

Mit der im 13. Jh. in Deutschland aufkommenden Papierproduktion – Hauptbestandteil sind zermahlene Lumpen – verstärkte sich mit dem wachsenden Handwerk und Handel auch die Schriftlichkeit im Privat- und Verwaltungsgebrauch, die sich dadurch zur „gotischen Kursive” weiterentwickelte. So bildete für Johannes Gutenberg die in den Skriptorien der Kloster- und Abtschulen die sich weiterentwickelnde Gotische Schrift hin zur „Textura” im 14. Jh. als Vorlage zu seinen Inkunabeln ab 1440.

Die sich zu der vorchristlichen griechischen und römischen Kunst und Wissenschaft bekennenden Humanisten und deren verbündeten Drucker, verwendeten die karolingische Minuskelschrift ausschließlich mit Lang-s und die Buchstaben der „Römischen Kapitalis” für den Satzanfang und gaben dieser Schrift den Namen „Antiqua”. Sie löste die auch in West- und Südeuropa verbreitete die Gotische Schrift ab.

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